Was tun bei einer Kündigung? Zahlreiche Ältere lauschen dem Rat von MV-Fachleuten (links im Bild Monique Gagnebin)
07.05.2018
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Miettip

Das Wichtigste ist anfechten

Gerade Ältere sind besonders von Kündigungen bedroht. Wegen der Sanierungswelle bei Altbauten. Was sollen sie tun? Fachleute des MV Zürich klären auf.

Der Anlass kommt für Monique Gagnebin genau zur richtigen Zeit. Die 76-Jährige ist auf Wohnungssuche, Ende Juli soll sie ihre Einzimmer-Wohnung in Zürich-Schwamendingen verlassen haben. Seit 47 Jahren lebt sie dort. Zwar steht im Mai noch der Termin bei der Schlichtungsstelle an. Gagnebin hofft auf Mieterstreckung oder dass die Besitzer den geplanten Umbau doch noch etappieren und sie und ihre Nachbarn also bleiben können. Aber sie ist zu unruhig, um einfach abzuwarten.

Sozial sanieren wäre möglich
Im letzten M+W war zu lesen, was mit dem Haus, in dem Monique Gagnebin lebt, passieren soll: Der Wohnblock mit den 90 günstigen Wohnungen an exponierter Verkehrslage wird nach jahrelanger Vernachlässigung totalsaniert. Alle Bewohnerinnen und Bewohner müssen raus. Dies obwohl eine etappenweise Sanierung mit Zwischenlösungen durchaus möglich wäre. Denn bereits stehen viele Wohnungen leer. Die Besitzerin ist die Firma Siska Heuberger Immobilien AG. Ihr gehört in der Nachbarschaft eine weitere Liegenschaft. Auch dort hat sie jetzt allen gekündigt, wegen Totalsanierung. Gagnebin sorgt sich: «Da wohnen ebenfalls viele ältere Menschen. Wenige bringen noch die Energie auf, die ich habe. Wie sollen sie in der kurzen Zeit eine neue Wohnung finden?»

Die Rentnerin hat sich in der ersten Reihe im grossen Saal des Volkshauses in Zürich auf einen Stuhl gesetzt. Viele waren nicht mehr frei: Anstatt der erwarteten rund fünfzig Besucherinnen und Besucher meldeten sich doppelt so viele an. Jetzt sind sogar mehr als hundert hier – alles Frauen und Männer über 60. Katharina Gander vom MV Zürich sagt gleich zu Beginn: «Der Wohnungsmarkt ist nicht auf ältere Menschen ausgerichtet.» Freie Wohnungen seien heutzutage meist im Internet und oft «per sofort» ausgeschrieben. Beides geht an der Realität älterer Menschen vorbei. Die Suche im Internet überfordert viele, die Kurzfristigkeit erst recht. Man entscheidet sich im Alter nicht mehr so locker und spontan für oder gegen eine Wohnung. Auch ist man nicht mehr so flexibel wie in früheren Jahren. Und es gilt vieles zu berücksichtigen, etwa die Abhängigkeit vom öffentlichen Verkehr oder dass ein Haus möglichst hindernisarm gebaut ist.

Das Interesse an der Veranstaltung ist gross
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Das Interesse an der Veranstaltung ist gross

Anna Pauli (Name geändert) ist an den Infoabend gekommen, weil sie eine kleinere Wohnung in der Stadt Zürich sucht. Schon lange. «Als Alleinstehende in einer Vierzimmer-Wohnung besetze ich zu viel Platz. Meine Wohnung wäre ideal für eine Familie. Aber ich muss ja zuerst eine andere finden. Es sind nur wenige in der Preisklasse ausgeschrieben, die ich mir leisten kann. Bisher habe ich mich stets erfolglos beworben.» Kein Wunder: Die Nachfrage nach kleinen, günstigen Wohnungen ist viel grösser als das Angebot. Und: Viele Eigentümerinnen und Verwalter meinen, dass sich Senioren eine betreute Wohnform wünschen. Das hat die Soziologin Joëlle Zimmerli in einer Studie festgestellt, bei der sie und ihr Team die Bedürfnisse und Vorstellungen von Seniorinnen und Senioren und die Einschätzungen von Wohnanbietern einander gegenüberstellen. Es zeigte sich, dass die realen Interessen älterer Menschen und die Vorstellungen, die vom Markt in sie hineininterpretiert werden, zum Teil weit auseinander liegen. So wird etwa die Nachfrage nach «gemütlichen» und kostengünstigen Wohnungen kom- plett unterschätzt.

Konkurrenz mit Jungen
Ältere Menschen konkurrieren bei der Wohnungssuche mit den Jungen. Diese sind aber im souveränen Umgang mit dem Internet und mit ihrer Flexibilität im Vorteil. Wie also sucht und bewirbt man sich als älterer Mensch erfolgreich? Nebst Katharina Gander gibt auch Renate Dürr Ratschläge. Sie ist Immobilienbewirtschafterin bei einer Genossenschaft in Winterthur und weiss, worauf jene Leute achten, die entscheiden, wer eine Wohnung erhält. Ihr eindringlichster Tipp: «Lassen Sie sich vom bisherigen Vermieter ein positives Empfehlungsschreiben ausstellen! Gehen Sie bei jeder Wohnungsbesichtigung auf die Bewirtschafter zu und schicken Sie mit der Bewerbung ein Foto mit sowie einen persönlichen Brief, in dem Sie sachlich die Dring- lichkeit darlegen. Wir alle merken uns sehr wohl, mit wem wir kurz gesprochen haben, und erinnern uns jeweils an Gesichter.»

 

Renate Dürr und Katharina Gander geben Rat zur Wohnungssuche im Alter
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Renate Dürr und Katharina Gander geben Rat zur Wohnungssuche im Alter

Längst nicht alle Anwesenden rechnen mit einer Kündigung in nächster Zukunft. Sie wollen sich einfach «fit machen für
die Wohnungssuche» – so wie es in der Kursausschreibung stand. Aber Katharina Gander weiss: «Es werden jetzt sukzessive ältere Mehrfamilienhäuser saniert. Viele ältere Menschen,
die schon lange in diesen Wohnungen leben, erhalten die Kündigung.» Ueli Eisenmann (Name geändert) ist einer von ihnen. Er kam verspätet, setzte sich in der hintersten  Reihe hin und lauschte. Nach der Veranstaltung erzählt er: «Ich wohne seit 22 Jahren in einer gemütlichen Zweieinhalbzimmer-Wohnung mit Gartensitzplatz in Zürich. Das Haus ist um die hundert Jahre alt. Alle dieser wirklich sehr schönen und günstigen Woh- nungen sind so gross. Vor kurzem erhielten wir einen Brief von einer uns unbekannten Immobilienfirma. Darin stand, dass das Haus demnächst im Auftrag des Besitzers verkauft werde.»

Der pensionierte ETH-Ingenieur wirkt nicht unbeholfen. Aber er ist an den Infoabend gekommen, um zu fragen: «Was soll ich tun?» Jetzt weiss er: Das Allerwichtigste ist, die Kündigung anzufechten, sobald sie eingetroffen ist. Nur so wird eine Chance auf Mieterstreckung haben. Die Anfechtung ist kostenlos. Katharina Gander erklärte zudem: «Wer vor die Schlichtungsstelle geht, braucht nichts zu befürchten, im Gegenteil: Die Chancen stehen gut, dass ein Vermieter gerade denjenigen eine andere Wohnung anbietet, die anfechten. Denn ein einziger Mieter kann das ganze Bauvorhaben verzögern, wenn ihm eine längere Fristerstreckung gewährt wird.» Am Ende liegen auf einem Tisch Broschüren und Flyer auf. Etwa jener von Klick 60plus, einem Angebot der Stadtzürcher Beratungsstelle «Wohnen im Alter». Sie bietet über 60-Jährigen ohne eigenen Internetanschluss kostenlose Unterstützung bei der Wohnungssuche im Netz an, jeweils Montag und Dienstag von 13 bis 17 Uhr. Es gibt einen Ansturm auf die Unterlagen, auch Monique Gagnebin schnappt sie sich. Wenn im September der nächste Infoabend stattfindet, kann sie vielleicht selber Tipps geben, es ist ihr zuzutrauen.