29.10.2018
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Zürich  | 
Medienmitteilung

Zynische Swiss Life

Mit grossen Plakaten wie «Annas Life» wirbt Swiss Life für Selbstbestimmung und Zuversicht im Alter. Im wahren Leben ist der Versicherungskonzern gerade daran, die Zuversicht von Anna, Elvira, Margrit und vielen weiteren älteren Menschen zu zerstören.

An der Riedthofstrasse 54 bis 92 in Regensdorf geht die Angst um. Weit über hundert Menschen müssen binnen der nächsten Monate eine neue Wohnung finden. Viele sind über achtzig Jahre alt und leben seit den 1950er Jahren dort, fast ihr ganzes Leben.

Die Mehrfamilienhäuser gehören Swiss Life. Der Versicherer ist vielen noch unter dem Namen Rentenanstalt bekannt. Die einstige Genossenschaft ist heute der grösste Player im schweizerischen Vorsorgegeschäft und mit mehreren zehntausend Wohnungen ein Grossvermieter. Seit September fällt er mit seiner omnipräsenten Markenkampagne auf: «Retos Life», «Evas Life», «Lauras Life» usw. Mit den 350 beliebtesten Vornamen wirbt er für ein gutes Leben im Alter. Die Botschaft lautet: «Wir unterstützen unsere Kunden, damit sie ein längeres Leben selbstbestimmt und mit Zuversicht führen können.»

In Regensdorf ist Swiss Life aber gerade dabei, älteren Menschen jede Zuversicht auf eine selbstbestimmte Zukunft zu nehmen. Insgesamt sind 84 Wohnungen vom Abriss betroffen. Spätestens in neun Monaten sollen die Wohnungen geräumt sein. Alle erhielten am selben Tag den eingeschriebenen Brief. Elvira Rolli, 90 Jahre alt:  «Der Pöstler wusste, was los war.»  

Wohnungen werden heute mehrheitlich online ausgeschrieben. Doch viele ältere Menschen haben zuhause keinen Computer. Meist muss man sich schnell bewerben und entscheiden – auch da scheitern sie. Mit ihrem Bedürfnis nach einer günstigen Wohnung stehen sie in Konkurrenz zu unzähligen anderen Wohnungssuchenden. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem. Auch in Regensdorf, das mit dem öffentlichen Verkehr gut angebunden ist.

Günstige Wohnungen verschwinden

Hier ist alles im Umbruch. Man sieht es von blossem Auge, auch rund um die Siedlung an der Riedthofstrasse, von wo aus der Bahnhof Regensdorf-Watt in wenigen Gehminuten zu erreichen ist. Nördlich des Bahnhofs entsteht auf einem ehemaligen, 21,5 Hektaren grossen Industriegebiet in Anlehnung an die Europaallee in Zürich die «Regensdorf-Allee». Sie soll dereinst gemischt genutzt werden. Die Planung ist in vollem Gang. Erste Visualisierungen dieser Regensdorf-Allee und der geplanten Neuüberbauung an der Riedthofstrasse lassen erahnen, dass hier Wohnungen stehen werden, die viel teurer sind als die bisherigen.

Die jetzige, noch immer ansprechende Siedlung ist eine jener Überbauungen mit einfachen, kleinen Wohnungen, wo noch drei Zimmer für unter 1500 Franken zu finden sind. Sie verschwinden derzeit rasant. Und ersatzlos. Das ist gerade in einer Gemeinde wie Regensdorf verhängnisvoll. Dort gibt es keinen kommunalen Wohnungsbau und auch kaum aktive Wohnbaugenossenschaften. Nicht einmal Alterswohnungen besitzt die Gemeinde. Ein Altersheim zwar schon, sagt Gemeindepräsident Max Walter (SVP). Aber dieses betrachte man als Auslaufmodell: «Wir sind dafür, dass die Leute möglichst lange in ihren Wohnungen bleiben.»

Swiss Life veranstaltete wenige Tage, nachdem sie allen Mieterinnen und Mietern das Kündigungsschreiben geschickt hatte, eine Informationsveranstaltung «mit anschliessendem Apéro». Man durfte Fragen stellen. Beruhigende oder wenigstens empathische Antworten gab es aber keine. Die mehrheitlich älteren Menschen fühlten sich nicht ansatzweise ernst genommen mit ihren Sorgen. Anna Groshans, 65: «Als wir wissen wollten, ob sie uns bei der Wohnungssuche unterstützen werden, kam ein kategorisches Nein. Auch auf die Frage, ob uns Swiss Life oder ihre Verwaltung Livit informieren werde, wenn eine Wohnung frei werde, hiess es: Nein. Ich fragte ferner: Werden wir bevorzugt behandelt, wenn eine Wohnung frei wird? Wieder: Nein.»

Swiss Life Mediensprecherin Tatjana Stamm sagt auf Nachfrage: «Wir gehen davon aus, dass in den meisten Fällen innert diesem Jahr eine passende Wohnung gefunden werden kann.» Falls vor Ablauf der Kündigungsfrist dennoch einzelne Mieter noch keine Wohnung gefunden hätten, unterstütze man diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Das hören die Gekündigten so zum ersten Mal. Mit Hilfe des MV Zürich hat ein Teil von ihnen die Kündigung angefochten. Es kommt somit zu einem Verfahren.

Swiss Life wirbt in ihrer aktuellen Kampagne damit, Menschen darin zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben mit Zuversicht führen zu können. In Regensdorf passiert genau das Gegenteil.