
Drei kämpfen für Gerechtigkeit
Unter einem Vorwand presst die Grossbank Credit Suisse aus Mietenden in Neu-Oerlikon mehr Geld. Doch drei lassen sich das nicht gefallen. Von Esther Banz.
«Es ist unglaublich, dass sie bis jetzt von allen Instanzen Recht bekommen haben», sagen Antonella und Francesco Rullo an einem dunklen Abend Anfang Februar. Zusammen mit Nachbar François Burger kämpfen sie gegen die Pensionskasse der Credit Suisse als Besitzerin der Überbauung «Züri 50». Dort wohnen sie seit über 14 Jahren. Die beiden sitzen am Esstisch in ihrer elegant eingerichteten Parterre-Wohnung, einen Ordner zur Hand.
Von der Wüste zum Wohnquartier
- Zoom
- Reto Schlatter
Die Wohnung an der Margrit-Rainer-Strasse in Neu-Oerlikon ist geräumig. Die ganze Überbauung wurde im Jahr 2000 erstellt. Die Gegend war damals noch eine soziale Wüste in einem ehemaligen Industriegebiet. Seit einigen Jahren ist es aber ein Wohnquartier, von der Stadt mit Park, Schulen und allen nötigen Einrichtungen ausgestattet. Auch Strassenlaternen hat es. Dunkel ist es an diesem Abend dennoch. Nicht nur wegen der Jahreszeit, sondern auch, weil kaum Licht aus der Überbauung dringt. Viele Wohnungen stehen leer. Manche sind seit Wochen, andere seit Monaten ausgeschrieben.
Fast alle, die in «Züri 50» wohnten, erhielten vor zwei Jahren auf einen Schlag die Kündigung. Man müsse die Gipsdecken sanieren, und dies sei nur in leeren Wohnungen möglich, liess die Verwaltung der CS, Wincasa, verlauten. Aber die Gipsdecken waren teilweise schon im bewohnten Zustand geflickt worden. Das konnte also nicht der wahre Grund sein. Die Bank hatte wohl gemerkt, dass sie dank der Aufwertung des Quartiers mehr Miete herausschlagen kann. Die meisten Mietenden meldeten sich beim MV.
Es gab Verfahren vor der Schlichtungsbehörde und schliesslich vor Mietgericht. So auch mit Ehepaar Rullo und François Burger. Als das Gericht ihre Beschwerde wegen missbräuchlicher Kündigung abschmetterte, zogen die Drei den Fall weiter ans Obergericht. Als sie Ende 2016 auch dort abblitzten, war ihnen trotz grosser Enttäuschung klar: «Dann gehen wir eben ans Bundesgericht.»
Verstoss gegen Treu und Glauben
Für MV-Geschäftsleiterin Felicitas Huggenberger verstossen die Kündigungen klar gegen Treu und Glauben. Nur Rullo und Burger wagten jedoch den Gang nach Lausanne. Denn sie haben eine Rechtsschutzversicherung, welche die Kosten deckt. Zahlreiche andere Mietende setzten sich ebenfalls mit Hilfe des MV zur Wehr. Sie alle konnten etwas herausholen, zum Beispiel bis zu anderthalb Jahre Mieterstreckung. Und für einige Härtefälle gab es einen neuen Vertrag. Die Rullos lernten kürzlich einen neuen Nachbarn kennen. Sie erfuhren, dass er in eine identische Wohnung gezogen ist und jetzt rund 1000 Franken mehr bezahlt als sie für ihre. Dies wusste er dank dem Formular, auf dem der frühere Mietzins angegeben und das im Kanton Zürich obligatorisch ist.
Die massive Erhöhung begründet Wincasa mit der Anpassung an die orts- und quartierüblichen Verhältnisse. «Im Eventualfall» sei es auch wegen der «getätigten Mehrleistungen» respektive «umfassenden Überholungen». Der Neumieter wolllte wissen, wie sich seine angeblich umfassend überholte Wohnung von jener Rullos unterscheide. Er sah: gar nicht. Nicht einmal Küche und Bad waren erneuert worden. Rullo wusste auch von anderen neu Zugezogenen: «Sie trafen teilweise sogar über 14-jährige Kühlschränke sowie schlecht riechende Waschmaschinen und Tumbler an.» Diverse Neumieter haben in der Zwischenzeit den Anfangsmietzins erfolgreich angefochten. Sie bezahlen bis zu 1000 Franken weniger als verlangt. Weitere Fälle sind hängig.
Francesco Rullo ist in Oerlikon aufgewachsen und in diesem Stadtteil verwurzelt. Er schüttelt nur den Kopf: «Heutzutage wird Geld herausgepresst, wo es nur geht.» Und François Burger konstatiert: «Ich absolvierte ursprünglich eine Banklehre und habe Verständnis für wirtschaftliche Argumente. Aber die Art und Weise, wie man hier zu noch mehr Gewinn kommen will, ist inakzeptabel.» Wincasa begründet die Mietzinserhöhung gegenüber M+W mit der Marktüblichkeit «bei vorliegendem Ausbau-standard». Interessant, wo sich doch der Standard der Wohnungen mit den Renovationsarbeiten kein bisschen verändert hat.
Mietrecht genügt nicht
Rullos wie François Burger dachten wie viele Mietende in der Schweiz, eine Kündigung sei schnell einmal missbräuchlich, wenn kein Eigenbedarf geltend gemacht werden kann. Aber das ist falsch. Felicitas Huggenberger: «In der Schweiz gilt grundsätzlich die Kündigungsfreiheit.» Zwar hat sich das Mietrecht gegenüber früher verbessert. Aber mieterfreundlich ist es noch immer nicht. François Burger sagt: «Das verletzt mein Gerechtigkeitsempfinden massiv.»
Felicitas Huggenberger spricht Klartext: «Die Absicht, die Wohnungen mittels Mieterwechsel viel teurer weiterzuvermieten, ist offensichtlich und jetzt auch bestätigt: Die ausgeschriebenen Wohnungen sind alle rund 1000 Franken teurer. Der angegebene Grund der Sanierung der Gipsdecken ist vorgeschoben. Kommt dazu, dass die Kommunikation katastrophal und unprofessionell war.» Dem Ehepaar Rullo etwa hatte die Verwaltung vier Monate vor der Kündigung mitgeteilt, in ihrer Liegenschaft sei die Inspektion der Gipsdecken abgeschlossen. Wer nichts weiter höre, müsse keine Sofortmassnahmen gewärtigen. Rullos hörten nichts. Dennoch kam plötzlich aus heiterem Himmel der eingeschriebene Brief.
Rendite ist zu hoch
Auch für MV-Anwalt Peter Zahradnik ist offensichtlich, dass die Sanierungskosten die Mietzinserhöhung nicht rechtfertigen und dass die Kündigungen «primär aus Gründen der Ertragsoptimierung erfolgten». Und somit missbräuchlich sind, denn eine Kündigung darf nicht darauf abzielen, eine missbräuchliche Rendite zu erwirtschaften. Zudem muss der Vermie-ter beweisen, dass das nicht der Fall ist. Pikant: Das Obergericht ging diesem Aspekt gar nicht erst nach. Ohne dass der Vermieter die Mietzinserhöhung rechtfertigen musste, wies es die Klage der Mieter ab und deklarierte die Kündigung als rechtens. Die alten Mietzinsen sind übrigens vergleichbar mit jenen von Genossenschafts-Neubauten in Zürich, wo das Prinzip der Kostenmiete gilt. Was soviel bedeutet wie: keine Renditeexzesse auf Kosten der Mietenden.
In Neu-Oerlikon warten François Burger sowie Antonella und Francesco Rullo jetzt auf den Entscheid des Bundesgerichts. Sie müssen damit rechnen, im Fall eines negativen Urteils umgehend ausziehen zu müssen – wohin, wissen sie noch nicht. Das bereitet ihnen zwar Kopfzerbrechen, aber: «Wir glauben fest, dass die Gerechtigkeit siegt.» Sie und alle andern Mieter, die sich gegen die Abzockerei der CS wehren, helfen mit ihrem persönlichen Kampf auch allen andern Mietenden im Land.
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