Mieter und Politologe Christian Casper
06.07.2017
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Zürich  | 
News

Eine Verwaltung fällt auf

In Zürich setzt eine Immobilienverwaltung Mietende vor die Tür. Wegen Renovation. Doch wenig später tauchen die Wohnungen auf Homegate auf. Mit satten Aufschlägen.

Uns ist selbstverständlich bewusst, dass Sie daran keine Freude haben...

Die Geschichten klingen plausibel. Jene beispielsweise, die Alfred A. Hog, Chef der Waldmann Verwaltung und Bau AG, seinen Mietern Christian Caspar und Bettina Jecklin erzählte. Caspar hielt gerade das Neugeborene im Arm, als seine Partnerin aus dem eingeschriebenen Brief vorlas: «Mit diesem Schreiben möchten wir Ihnen die Gründe der Kündigung erläutern, damit Sie unser Vorgehen besser verstehen können. Uns ist selbstverständlich bewusst, dass Sie daran keine Freude haben werden.» Was folgte, war eine detaillierte Beschreibung geplanter Umbauarbeiten. Da stand etwa: «Wir werden die neue Wohnungstüre auf das untere Zwischenpodest verlegen (…), die heutige Wohnungstüre wird somit aufgehoben. (…) Wir werden auch im Wohnzimmer (…) eine ganz neue Treppe zur Erschliessung des ehemaligen Estrichgeschosses installieren.» Der Ausbau sei auf den Monat nach Auszug der Familie geplant und werde rund fünf Monate dauern, steht da noch. Abschliessend bedankt sich Alfred A. Hog fürs Verständnis.

Rückkehr unerwünscht
Die jungen Eltern verstanden aber nicht. Sie waren gerade dabei, in die neue Familiensituation hineinzuwachsen. Ihnen war rundum wohl in ihrer 3,5-Zimmer-Wohnung im Kreis 4, in der sie seit drei Jahren lebten. Sie fragten deshalb, ob es möglich wäre, nach den Renovationsarbeiten wieder in die Wohnung zu ziehen. Für eine allfällig höhere Miete signalisierten sie Offenheit. Nein, sagte Alfred A. Hog, das sei nicht erwünscht. Er gewährte ihnen aber eine Fristerstreckung um ein Jahr, und sie durften jederzeit auf Ende Monat kündigen. In der Zwischenzeit fanden die frischgebackenen Eltern eine Wohnung in einem andern Stadtteil und zogen schweren Herzens aus – in der Erwartung, die Wohnung würde anschliessend renoviert.

Aber das sollte nicht passieren. Stattdessen fanden sie die Wohnung kurz nach dem Auszug auf Homegate.ch ausgeschrieben: per 1. April, ganz regulär, ohne Beschränkung der Mietdauer oder eine andere Sonderregelung. Der neue Mietpreis inklusive Nebenkosten: 3250 Franken. Caspar und Jecklin hatten noch 2587 Franken bezahlt. Die Waldmann Verwaltung und Bau AG verlangte also ohne Renovation 663 Franken mehr. «Wir wären tatsächlich nicht bereit gewesen, so viel zusätzlich zu bezahlen», sagt Caspar, «schon Zweieinhalbtausend schienen uns eher viel für eine Wohnung im fünften Stock ohne Lift und mit einem nicht besonders schön verlegten Laminatboden. Was für uns den Preis gerade noch rechtfertigte, war die eigene Dachterrasse.»

Zweieinhalb Monate, nachdem die Wohnung der jungen Familie an der Feldstrasse 59 im Zürcher Kreis 4 ausgeschrieben war, steht sie noch immer leer. Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» hatte Alfred A. Hog im April gesagt, man werde noch im selben Monat ein Baugesuch einreichen. Gegenüber M+W bestätigte das Hochbaudepartement aber, dass es weder bis Mitte Juni noch in den vergangenen Jahren für diese Liegenschaft  je eine Baueingabe gegeben hat. Alfred A. Hog erklärt das so: «Aufgrund unseres Gesprächs mit den Mietern gingen wir davon aus, dass diese die Erstreckung voll ausnützen und das Mietobjekt erst kurz vor Ablauf der Erstreckung zurückgeben werden. Wir waren daher über die vorzeitige Rückgabe ein wenig überrascht, weshalb auch kein Baugesuch vorlag.» Dann habe man das Mietobjekt bis zur Durchführung der geplanten Erweiterung zwischenvermieten wollen. «Für eine befristete Mietdauer konnten wir jedoch leider keinen Nachmieter finden.» Ein weiterer Widerspruch, war die Wohnung ja unbefristet ausgeschrieben. Nun lasse man sie vorerst leer stehen, sagt Hog: «Wir warten den Entscheid des Eigentümers zur Durchführung des geplanten Bauvorhabens ab.» Nach Redaktionsschluss teilte Hog mit, er reiche nun ein Gesuch ein. 

Wohnen ist ein Grundbedürfnis, das am Markt ausgehandelt wird

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So offensichtlich widersprüchlich agiert die Verwaltung von Hog normalerweise nicht. Man geht sonst sauber zur Sache, und sehr selbstbewusst. Im selben Haus, in dem Caspar wohnte, kündigte Hog laut Aussage des geschassten Mieters allen andern Wohnungsmietenden bereits in den Jahren zuvor resp. kurz nachdem das Haus 2013 in neue Hände übergegangen und die Firma Waldmann mit der Verwaltung beauftragt worden war. Speziell an diesen Kündigungen ist, dass Hog den Kündigungszweck «Renditesteigerung» unverhohlen kommunizierte. Er las dem «Tages-Anzeiger» aus seinen Akten vor: «Die Eigentümerschaft hat sich dazu entschieden, die von Ihnen gemietete günstige 3,5-Zimmer-Wohnung, inklusive Estrich und Kellerabteil, zu einem marktgerechten Mietzins an eine Drittperson zu vermieten.» Die als «günstig» bezeichneten Dreieinhalbzimmer-Wohnungen kosteten damals bereits um die 2000 Franken. Rund fünfhundert Franken mehr müssen die neuen Mieter seither bezahlen, sagt Hog selber. Ohne Verbesserung, denn wesentlich renoviert wurde die Wohnung nicht.

Die damaligen Mieterinnen und Mieter hätten mit einer Klage wegen missbräuchlicher Kündigung gute Chancen gehabt. Christian Caspar ebenfalls, aber er sah zunächst keinen Grund, die detailreich ausgeschmückte Geschichte von der Renovation zu hinterfragen. Verdacht schöpfte der Politologie-Doktorand erst, als er seine Wohnung auf Homegate ausgeschrieben sah – und da war die dreissigtägige Frist, in der er sich hätte wehren können, bereits abgelaufen. Die Lehre, die man daraus ziehen muss, lautet gemäss Walter Angst, Kommunikationschef beim MV Zürich, so : «Präsentiert der Vermieter eine Renovations-Geschichte, lohnt es sich immer abzuklären, ob diese glaubhaft ist. Wenn nur der leiseste Verdacht besteht, dass dem nicht so ist und man noch keine neue Wohnung gefunden hat: die Kündigung unbedingt anfechten!»

Kündigungsgrund Eigenbedarf
Auch Alfred A. Hog weiss ihn zu nutzen. Das erlebte die Stadtplanerin Seraina Jenal, nachdem sie ihrem Verwalter mitgeteilt hatte, dass sie ihre Wohnung an der Konradstrasse 75 aufgrund einer veränderten Familiensituation an eine Kollegin untervermieten möchte. Sie schickte ihm den Untermietvertrag mit, den sie aufgesetzt hatte. Von der untermietenden Kollegin verlangte sie nicht mehr Mietzins, als sie selber für die Wohnung bezahlte. Hog willigte ein, gewährte ihr aber für die Untermiete nur ein paar Monate: «Der Grund liegt auch darin, dass der Eigentümer Wohnungen für seine Mitarbeiter benötigt, und er möchte von seinem Recht als Eigentümer Gebrauch machen.» Dieser Eigentümer, Hans Ulrich Schaer, betreibe ein Geschäft mit Oldtimer-Autos. Jenal schrieb an Hog: «Die Wohnung gegenüber meiner Wohnung wurde vor wenigen Wochen neu vermietet. Ich gehe daher nicht davon aus, dass das Bedürfnis des Eigentümers nach Wohnungen überaus brisant ist.» Sie willigte aber ein, ihre Wohnung für nicht länger als eineinhalb Jahre zu vermieten.

Kündigung wegen Arbeitern
Doch dann kam alles ganz anders. Hog erzählte ihr am Telefon ausführlich, dass Schaer Arbeiter in der Wohnung einquartieren und vorher noch die Küche und eventuell Böden renovieren wolle. Keine zwei Wochen später hatte sie die Kündigung im Briefkasten. Der Eigenbedarf als Kündigungsgrund lag schriftlich einzig in einer E-Mail geäussert vor. An einem Mai-Tag gab Seraina Jenal ihre Wohnung ab, an Alfred A. Hog persönlich. Weil er erzählt hatte, die Küche würde nach ihrem Auszug renoviert, sagte sie noch: «Falls Sie die Chromstahl-Ablage entfernen lassen, würde ich mich dafür interessieren.» Er habe positiv geantwortet. Am Abend desselben Tages erhielt Seraina Jenal eine SMS von einem Kollegen: «Schon gesehen?». Er verwies auf das Inserat einer Wohnung an der Konradstrasse 75. Sie  schaute nach. Tatsächlich: Die Wohnung war ausgeschrieben. Für 2120 Franken. Sie selber habe noch 1692 Franken bezahlt.

Keine Nerven für Streit
Um Jenal Briefe nachsenden zu können, nahm der Nachmieter Kontakt mit Seraina Jenal auf. Und erfuhr so, dass er praktisch ohne Verbesserung zwanzig Prozent mehr Miete bezahlen soll. Renoviert wurden nämlich weder Küche noch Böden, einzig hier und dort wurde eine Wand neu gestrichen. Weil er nicht Mitglied des MV war, hätte der Nachmieter die Anwaltskosten selber tragen müssen. Es hätten ihm aber auch die Zeit und die Nerven für einen solchen Streit gefehlt, sagt er, der nicht namentlich genannt sein will. In der Logik von Alfred A. Hog sieht dieser Verzicht auf eine Anfechtung dann so aus: «Die Tatsache, dass der neue Mieter diesen Mietzins nicht angefochten hat, zeigt klar auf, dass er diesen erhöhten Mietzins als fair erachtet.»

Nachdem im «Tages-Anzeiger» der Artikel zur Kündigung der Wohnung von Christian Caspar durch die Waldmann Verwaltung erschienen war, ging es in der Online-Kommentarspalte der Zeitung sogleich emotional zu und her. Bei der Redaktion gingen kritische Meldungen von Mietenden ein. Auch solche zur Firma Waldmann. Eine stammte von Daniel Stuber, dem Hog letztes Jahr seine Wohnung an der Müllerstrasse 37 im Kreis 4 gekündigt hatte, ebenfalls mit dem Argument der Renovation. Auf der Schlichtungsstelle erzählte Hog auch diesem Mieter die Geschichte von den Mitarbeitern des Oldtimer-Unternehmers – das Haus gehört wie jenes an der Konradstrasse Hans Ulrich Schaer. Die Angestellten seien aus Polen und wohnten in einem Industriegebiet, das keine Wohnzone sei, weshalb die Gemeinde eine Frist zum Auszug gesetzt habe.

Eine hübsche Geschichte, aber Stuber war skeptisch. Er erzählt: «Kurze Zeit später, etwa einen Monat nachdem ich ausgezogen war, sah ich bereits Nachmieter auf dem Balkon. Es sah nach einem jungen Paar aus.» Also eher keine polnischen Arbeiter. Stuber ging dem nicht weiter nach. Er hatte eine neue Wohnung gefunden und wollte seine Energie anders nutzen, als sich noch einmal mit der Verwaltung herumzuschlagen. Alfred A. Hog sagt zu diesem Fall: «Die Vermietung des Mietobjektes an einen Mitarbeiter des Eigentümers oder einer seiner Gesellschaften bildete keinen Kündigungsgrund. Ob das Mietobjekt an einen Mitarbeiter vermietet wurde, ist daher zur Beurteilung der Gültigkeit der Kündigung ohne Relevanz.» Indes sei die Wohnung total saniert worden. Hog schickt Fotos mit. Und sieht sich in allen drei Fällen rundum im Recht. Das Fazit aus diesen Geschichten: Mietende sind gut beraten, in Zweifelsfällen ihre Rechte wahrzunehmen. Denn geschenkt wird ihnen gerade auf dem Zürcher Mietmarkt nichts. Oder wie Politologe Caspar sagt: «Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Aber eines, das am Markt ausgehandelt wird, solange wir uns nicht dagegen wehren.»